Revision des Flechtenherbars 2014-2017 durch Gregor Kaufmann und Dr. Michael Dietrich


Das Flechtenherbar von Pater Burkard Kaufmann (1911-1974)

Benediktiner-Kloster Disentis, Kanton Graubünden

Herbar mit zwei Teilen: Belege aus der Surselva und übrige Belege

Burkard Kaufmann hat sein Flechtenherbar als Benediktiner-Pater im Kloster Disentis erstellt. Es befindet sich entsprechend seit jeher in der Sammlung von Naturobjekten des Klosters Disentis. Pater Burkard frönte der Leidenschaft für Flechten von 1960 bis 1970. Dies zeigen die Daten auf den von ihm gesammelten Belegen. Er dokumentierte in erster Linie die Flechten der Gemeinde Disentis und deren nähere und weitere Umgebung in der Surselva (Bündner Oberland). 

Die Angaben auf den Herbaretiketten veranschaulichen auch, dass P. Burkard in regem Kontakt mit der Schweizerischen Vereinigung für Bryologie und Lichenologie (SVBL, heute Bryolich) stand. So nahm er 1961 an der deren Jahresexkursion im Gebiet von Brambrüesch (GR) teil, wo er andere Lichenologen und Lichenologinnen seiner Zeit traf. Später standen ihm vor allem Trudi Erb und Eduard Frey bei der Bestimmung der Flechten bei und überliessen ihm für Vergleichszwecke auch diverse Belege aus ihren eigenen Sammlungen. 

Das Flechtenherbar von P. Burkard umfasst 571 Belege und besteht aus zwei Teilen. Den weitaus grösseren Teil stellen die 486 Belege aus der Surselva. Den zweiten Herbarteil bilden die 85 Flechtenbelege von ausserhalb der Surselva. Diese umfassen von P. Burkard gesammelte Flechten und jene Belege, die er von anderen Lichenologen und Lichenologinnen erhalten hatte. 

 

Die Aufarbeitung des Flechtenherbars

Die Flechtensammlung von Pater Burkard Kaufmann wurde in den Jahren 2015 bis 2017 aufgearbeitet und inventarisiert. Die Aufarbeitung bestand darin, die Belege wo nötig zu restaurieren, die belegten Flechten zu überprüfen und die Bestimmung allenfalls zu revidieren. Im Rahmen der Arbeiten wurden nicht nur die eigentlich dokumentierten Flechten überprüft, sondern auch die auf den Belegen als Begleiter vorkommenden Arten bestimmt und deren Identität auf Beizetteln festgehalten. Wo für die eindeutige Identifikation erforderlich, wurden die Inhaltsstoffe mittels Dünnschichtchromatografie analysiert. Um im Nachhinein eine möglichst genaue Lokalisierung der einzelnen Funde und ihre entsprechende Darstellung in Verbreitungskarten zu ermöglichen, wurden die Lokalitäten der Funddaten georeferenziert. Dies beinhaltete die Ermittlung der Koordinaten, versehen mit der Angabe der Ungenauigkeit, und der Höhe über Meer anhand der aktuellen Landeskarte. Die Namen der Lokalitäten wurden zudem nach der aktuellen Schreibweise festgehalten. Sämtliche Daten zu den Funden wurden digital erfasst. Die Nomenklatur der Flechten folgt dabei in der Regel Clerc & Truong (2012). Die in den Artenlisten verwendeten deutschen Namen basieren mehrheitlich auf Cezanne et al. (2016). Abschliessend wurden die ursprünglichen Belege in einheitliche, mit den relevanten Daten beschriftete neue Herbarumschläge verpackt.

Die Flechtenbelege aus der Surselva

Der Herbarteil der Flechten aus der Surselva umfasst 486 Belege. Mit 230 Belegen dokumentiert die Mehrheit baumbewohnende Flechten. Weiter sind 28 Belege von Holz-, 169 von Gesteins- und 59 von Bodensubstraten vorhanden. Neben den eigentlich dokumentierten Taxa konnten auf den Belegen 290 Begleiter festgestellt werden. Alle Flechten wurden zwischen 1960 und 1970 herbarisiert.

 

Mehrheitlich von P. Burkard gesammelt

Mit 423 Belegen wurden die allermeisten Flechten von Pater Burkard selbst gesammelt. Die übrigen wurden ihm mehrheitlich von Schülern von Wanderungen beigebracht, einige auch von Mitbrüdern, Lehrerkollegen und Bäuerinnen.

 

Hauptsächlich Flechten von Disentis

462 Belege dokumentieren die Flechten der Gemeinde Disentis. Nur ganz wenige der Flechten stammen von ausserhalb des Gemeindegebietes. Die Gemeinde Ilanz ist mit fünf Belegen vertreten, Medel mit neun, Tujetsch mit sieben und Sumvitg und Vrin mit je einem Beleg. Ein Fund stammt ohne genauere Angabe aus dem Lugnez.

Im Rahmen seiner Exkursionen hat P. Burkard verschiedene Lokalitäten ausserhalb des Dorfes und der Klosterumgebung bevorzugt aufgesucht. Dies zeigen die auf den Etiketten über die Jahre mehrfach festgehaltenen Fundorte. Dazu gehören nördlich des Dorfes die Alp Run und das Val Sogn Placi, im Westen Cavardiras und Caischavedra, im Süden Fontanivas, die Rhein-Auen allgemein und Mompé Tujetsch sowie im Westen Muntatsch mit Abstechern bis auf den Piz Ault.

Zahlreiche Belege stammen aus Disentis selbst und natürlich vom Areal des Klosters und dessen näheren Umgebung. Sehr oft hat P. Burkard das "Lärchenwäldli hinter dem Kloster" aufgesucht. Alleine von dort sind über hundert Flechtenbelege vorhanden. Sie dokumentieren u.a. sieben Arten der Bartflechten-Gattung Usnea.

Abb. 1: Sämtliche Fundpunkte von Flechten auf dem Gebiet der Gemeinde Disentis. (Quelle: Swisstopo)
Abb. 1: Sämtliche Fundpunkte von Flechten auf dem Gebiet der Gemeinde Disentis. (Quelle: Swisstopo)

Die für Disentis und die Surselva dokumentierte Vielfalt der Flechten

Insgesamt dokumentieren die Belege für die Surselva 239 Flechtenarten mit sieben Unterarten, zehn Varietäten und sechs Formen (siehe Flechtenliste Surselva). Als Epiphyten auf der Rinde von Bäumen oder Sträuchern wachsend sind im Herbar 102 Flechtenarten aus der Surselva vorhanden. 29 Arten wurden auf Holzsubstraten gesammelt, 109 auf Gesteinssubstraten und 31 auf Bodensubstraten. 

Für das Gebiet von Disentis hat P. Burkard 230 Arten nachgewiesen. Neun Flechten liegen nur von ausserhalb des Gemeindegebietes vor: Alectoria ochroleuca, Brodoa atrofusca, Caloplaca alnetorum, Flavocetraria cucullata, Lecidella aff. prasinula, Pseudephebe minuscula, Solorina saccata, Umbilicaria vellea und Vulpicida tubulosus.

 

Sieben Flechtenarten waren bisher aus dem Kanton Graubünden noch nicht bekannt (Clerc & Truong 2012, Stofer et al. 2008): Caloplaca pyracea sammelte P. Burkard zwischen 1961 und 1965 bei Faltscharidas auf einem Laubbaum, in Disentis auf einer Zitter-Pappel und einem Holzzaun sowie bei der Kapelle S. Catrina auf einer Grau-Weide. Lecanora gisleriana dokumentierte er 1962 ohne genauere Angabe vom Gemeindegebiet von Disentis als Begleiter von Lecanora subaurea auf Silikatgestein.

Zwei Flechten, die bisher aus dem Kanton Graubünden noch nicht bekannt waren: Links die baumbewohnende Essigflechte (Pleurosticta acetabulum) und rechts Gislers Kuchenflechte (Lecanora gisleriana), welche mit den orangebraunen Fruchtkörpern auf der gesteinsbewohnenden Goldgelben Kuchenflechte (Lecanora subaurea) wächst.

Pleurosticta acetabulum fand er 1962 beim Disentiserhof auf einer Pappel und bei Faltscharidas auf einer Esche. Von einem Silikatfels bei der Cavorgia-Rheinbrücke stammt der Fund von Racodium rupestre von 1962. Rhizocarpon distinctum sammelte er 1961 bei Cuoz auf Geröll, Rhizocarpon reductum 1962 als Begleiter von Rhizocarpon geographicum ebenso auf Geröll im Val Sogn Placi. Schliesslich sammelte P. Burkard 1964 die sehr seltene, in der Schweiz vom Aussterben bedrohte (CR) Bartflechte Usnea cornuta bei Cuflons auf einer Fichte.

 

Neben Usnea cornuta registrierte P. Burkard sechs weitere baumbewohnende Flechten, die in der Roten Liste (Scheidegger et al. 2002) als national gefährdet eingestuft werden. Stark gefährdet (EN) sind Bryoria nadvornikiana und Usnea glabrata. Erstere sammelte er bei der Alp Run und bei Caischavedra ob Cavardiras, letztere ebenso bei Caischavedra sowie bei Cuflons und im Lärchenwäldli hinter dem Kloster. Von den verletzlichen (VU) Flechten sammelte er Caloplaca alnetorum in den Glenner-Auen bei Ilanz, Pertusaria coronata bei Cuflons, Usnea ceratina im Lärchenwäldli hinter dem Kloster, wo er schliesslich auch mehrfach Usnea intermedia fand, die er sonst noch bei der Alp Run und bei Cuflons registrierte.

Die gefährdete baumbewohnende Rosamarkige Bartflechte (Usnea ceratina) sammelte P. Burkhard im Lärchenwäldli hinter dem Kloster. Den ebenso gefährdeten baumbewohnenden Erlen-Schönfleck (Caloplaca alnetorum) in den Glenner-Auen bei Ilanz.

Die Flechtenbelege von ausserhalb der Surselva

Der Herbarteil der Flechten von ausserhalb der Surselva umfasst 85 Belege. 47 dokumentieren baumbewohnende, 2 holzbewohnende, 19 gesteinsbewohnende und 17 bodenbewohnende Flechten. Neben den eigentlich dokumentierten Taxa wurden auf den Belegen sieben Begleiter festgestellt. Die Belege dokumentierten insgesamt 80 Flechtenarten mit zwei Unterarten und vier Varietäten (siehe Flechtenliste ausserhalb der Surselva).

78 der Belege stammen aus der Schweiz, sieben aus dem Ausland (Frankreich, Italien, Norwegen, Schweden, USA). Aus Kalifornien stammt die dekorative Letharia columbiana, eine mit der heimischen Wolfsflechte (Letharia vulpina) verwandte Art. P. Burkard erhielt den Beleg von Rosemarie Lehmann, welche wohl Mitglied der SVBL war.

 

Die Flechten aus der übrigen Schweiz

Aus der Schweiz (ohne Surselva) stammen 73 Arten sowie die zwei Unterarten und vier Varietäten. Neben dem Kanton Graubünden und dem Kanton Thurgau, wo P. Burkard im Rahmen von Kuraufenthalten in der Umgebung von Dussnang Flechten sammelte, sind auch die Kantone Aargau, Bern, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schwyz, St. Gallen, Tessin, Uri, Wallis und Zug vertreten. 

Bei zehn Belegen handelt es sich um Doppel aus dem Herbar des berühmten Berner Lichenologen Eduard Frey (1888–1974). Darunter befinden sich die in der Schweiz nach wie vor extrem selten nachgewiesenen Arten Punctelia stictica mit Hypotrachyna britannica als Begleiter aus dem Puschlav im Kanton Graubünden sowie Usnea longissima aus dem Maderanerthal im Kanton Uri. 

Die Mehrheit der übrigen Flechtenbelege wurde von Trudi Erb oder Rosemarie Lehmann gesammelt und P. Burkard geschenkt. Von T. Erb stammt u.a. ein Belege von Peltigera degenii aus dem Kanton Zug. Die bisher aus dem Kanton noch nicht bekannte bodenbewohnende Flechte sammelte sie 1962 auf dem Gottschalkenberg (Menzingen). R. Lehmann dokumentierte im Wallis u.a. die in der Schweiz sehr seltenen Flechten Lobaria scrobiculata bei Täsch und Squamarina lentigera bei Sièrre.

Die in der Schweiz sehr seltene gesteinsbewohnende Grubige Punktschüsselflechte (Punctelia stictica) ist im Herbar von P. Burkard in Form eines Beleges von Eduard Frey aus dem Puschlav vorhanden. Mit ihr ist als Begleiter die ebenso seltene Britische Grauschüsselflechte (Hypotrachyna britannica) dokumentiert.

Literatur
Cezanne R., Eichler M., Berger F., Brackel W. v., Dolnik C., John V. & Schultz M. 2016: Deutsche Namen für Flechten. Herzogia 29: 745–797.

Clerc P. & Truong C. 2012: Catalogue des lichens de Suisse. www.ville-ge.ch/musinfo/bd/cjb/catalogue-lichen/recherche [Version 2.0, 11.06.2012].

Scheidegger C., Clerc P., Dietrich M., Frei M., Groner U., Keller C., Roth I., Stofer S. & Vust M. 2002: Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Baum- und erdbewohnende Flechten. Hrsg. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL, Bern, und Eidgenössische Forschungsanstalt WSL, Birmensdorf, und Conservatoire et Jardin botaniques de la Ville de Genève CJGB. BUWAL-Reihe Vollzug Umwelt.

Stofer S., Scheidegger C., Clerc P., Dietrich M., Frei M., Groner U., Jakob P., Keller C., Roth I., Vust M., Zimmermann E. 2008: swisslichens – Webatlas der Flechten der Schweiz / Modul Verbreitung (Version 2 vom 26. 01. 2017). www.swisslichens.ch.


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