Dr. Urs Groner

Palynologie, Lichenologie  |  Naturwissenschaftliche Gutachten


Bericht zum Flechtenherbar

von P. Burkard Kaufmann

im Kloster Disentis

1. Umfang, Form und Zustand der Sammlung (16. 1. 2006)

Bestand: 20 Kartonschachteln mit ca. 600-800 geordneten, etikettierten Flechtenbelegen, in 13 grössere Kartonboxen gepackt; in diesen Boxen auch ca. 5 Schachteln mit Moosen. 3 weitere Schachteln mit noch unbestimmtem Material (etwa 50? Belege) +/- mit Fundangaben. Grösse und Verpackung der Belege relativ einheitlich; die Umschläge (>/=A6) vertikal in den Schachteln. Die Sammlung ist sauber und gut erhalten; es gibt kaum zerbröckelte Belege, und Spuren von Herbarschädlingen – oder von einer Behandlung mit Gift – sind bisher nicht festgestellt worden.

 

2. Nomenklatur, Bestimmung, Etiketten

Die verwendete Systematik und Nomenklatur ist veraltet. Ein ansehnlicher Teil der Bestimmungen ist vermutlich richtig – was jedoch in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht verifiziert werden konnte. Die Etiketten mit Artnamen, Fundort, Sammler, Datum sind dauerhaft befestigt und gut lesbar; die Angaben allerdings manchmal etwas knapp. So ist z.B. der Fundort auf einigen Belegen nur gerade mit "Disentis“ vermerkt, auf ein paar Umschlägen fehlt das Sammeldatum.

 

3. Inhalt

Flechten von Disentis und Umgebung als Sammlungsschwerpunkt; epiphytische, saxicole und terricole Arten: ausser den regional zu erwartenden „gewöhnlichen“ Arten wohl auch einige seltenere Flechten. Aufgrund der nur kurzen Sichtung ist keine verbindliche Aussage möglich. Das Flechtenherbar macht den Eindruck von periodischem, punktuellem Sammeln; es scheint, dass weder bestimmte Lokalitäten noch gewisse Substrate gezielt dokumentiert worden sind. Bei einigen belegen (ca. 10 %) handelt es sich um Doppel, die P. Burkard von T. Erb und Ed. Frey als Vergleichsmaterial erhalten hat. Auf den Etiketten dieser Belege fehlen Fundortangaben; sie sind mit einem Hinweis auf die erwähnten Sammler versehen. Weitere, nicht von P. Burkard gesammelte Belege sind vereinzelt anzutreffen. Praktisch alles „fremde“ Material stammt nicht aus der Surselva, sondern aus der übrigen Schweiz. Der Einfluss von Ed. Frey, dem bedeutendsten Schweizer Lichenologen des 20. Jh., ist sowohl auf den Herbaretiketten feststellbar, wie z.B. auch in der Anlage des Herbars, bei der Bevorzugung gewisser Gattungen (Anzahl, Arten, Belege), etc.

4. Bedeutung des Flechtenherbars

Die Sichtung-Begutachtung der Sammlung während rund eineinhalb Stunden erlaubt natürlich kein abschliessendes Urteil über ihren Wert. Insgesamt ist wohl ein beachtlicher Teil der regionalen Flechtenflora im Herbar dokumentiert; manchmal mit ungenauen Ortsangaben (und ohne Landeskoord.) oder es fehlt ein Datum. Das Herbar ist als regionale Sammlung aus einem klar definierten Zeitraum (nach 1950; vor 1974) sicher wertvoll (s. auch Pt. 6). Für die Surselva und den Kanton Graubünden ist diese Flechtensammlung einzigartig – mit Ausnahme des Herbars von Ed. Frey ist mir aus dieser Zeit auch aus der übrigen Schweiz keine vergleichbare Sammlung bekannt.

 

5. Handlungsbedarf

Technisch: einen Teil der Flechtenbelege polstern, evtl. Anders präparieren (bei vertikaler Lagerung stärker beansprucht durch manipulieren). – Gattungen und Arten alphabetisch ordnen.

Fachlich: revidieren – Bestimmungen überprüfen; moderne Nomenklatur. Nicht eingeordnetes Material bestimmen, verpacken, etikettieren. – Datenbank der Belege.

Zeitlicher Aufwand: dürfte relativ gross sein; viele Belege von Usnea und Cladonia, welche – wie sterile Belege anderer Arten -

dünnschichtchromatographisch untersucht werden müssen.

 

6. Nutzung, Auswertung

Floristische oder vegetationskundliche Arbeiten mit/in alten Sammlungen sind aufwändig, weil nicht nur nomenklatorische Probleme auftreten, sondern in der Regel auch die Bestimmungen überprüft werden müssen; die Benützung wird dadurch erschwert. Ein aktualisiertes (revidiertes und sortiertes) Flechtenherbar mit digital verfügbarem Katalog ist deshalb von grösserem Wert und könnte mehrfach genutzt werden: als Anschauungsmaterial im naturwissenschaftlichen Unterricht, als Vergleichsmaterial beim Bestimmen von Flechtenbelegen; als vegetationshistorisches Dokument für Vegetationsvergleiche (Veränderungen); als Datenlieferant zur Verbreitung von Flechtenarten; als Basis für weitere Studien etc.

 

Die wesentlich kleinere Sammlung von Moosen sollte wie das Flechtenherbar revidiert werden.

 

Zürich, 22. November 2006
Urs Groner